Protokoll der Vorfälle vom 29. und 30.5.78 im Filmtheater am Friedrichshain

Am Sonntag, dem 29.5.78 entstand im Kohlenbunker des Filmtheaters am Friedrichshain ein Brand durch Selbstentzündung infolge der hohen Tagestemperatur. Der diensthabende Heizer, Kollege Zieris, bemerkte gegen 12.00 h eine leichte Rauchentwicklung. Er öffnete daraufhin eine Luke, schüttete einen Eimer Wasser auf die Kohlen (was einen Brand erst recht begünstigt) und entfernte sich bis ca. l7.00 h unerlaubt vom Dienst. Gegen 16.00 Uhr bemerkten die Kolleginnen beim Öffnen der hinteren Saaltüren den inzwischen starken Qualm. Die Feuerwehr wurde sofort alarmiert.
Gegen 17.00 Uhr war der Brand gelöscht, der schon sehr weit fortgeschritten gewesen war. Kollege Zieris, der anschließend eintraf, stellte die Kolleginnen mehrfach heftig zur Rede, wieso sie sich in seinen Arbeitsbereich »eingemischt« hätten. Er war betrunken, und ich schickte ihn nach Hause.
Am darauffolgenden Tag, dem 30.5., mußten ein Krankenwagen und ein Polizeiauto zum gleichen Filmtheater gerufen werden. Kollege Zieris und Kollege Scheffler, der erste Hausmeister und Heizer des Objektes, hatten sich während der Arbeitszeit betrunken. Da beide besonders in diesem Zustand nicht im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, entwickelte sich aus der Verbundenheit des gemeinsam verlebten Nachmittags ein Streit, der darin gipfelte, daß Kollege Scheffler den Kollegen Zieris durch den Saal (bei laufender 20-Uhr-Vorstellung) mit einer ca. 2 m langen Eisenstange verfolgte. (Wir spielten Der Chef mit Alain Delon.) Der gemeinsame Weg der Kollegen durch den Saal begann hinter der Leinwand, führte sie an ca. 250 Besuchern vorbei und mündete im Foyer des Filmtheaters, wobei die Einlaßtür vom Kollegen Scheffler gleich mit der Eisenstange geöffnet worden war. Von seiten der Besucher erfolgte keine Beschwerde, obwohl sich beide Kollegen unterwegs durch laute Worte verständigt hatten.
Kollege Gulden hatte an diesem Tag seinen Studientag, und ich hatte frei, da ich am Vortag gearbeitet hatte. Als ich 20.00 Uhr zur Abrechnung erschien, konnte ich gerade noch beide Kollegen in voller Aktion antreffen. Kollege Zieris verschwand plötzlich; Kollege Scheffler bekam daraufhin einen Herzanfall. Er gebärdete sich so anormal (er verlangte u. a. nach dem Tod), daß ich mich gezwungen sah, sofort einen Rettungswagen zu bestellen. Als ich daraufhin zu ihm zurückkehren wollte, kam er mir »erholt«, aber nunmehr mit zwei Eisenstangen und in starker Erregung entgegen: er hatte Kollegen Zieris entdeckt. Dieser war auf einen Baum vor dem Haupteingang des Filmtheaters geklettert und machte Kollegen Scheffler durch Zurufe und geschickt geworfene Zweige auf sich aufmerksam. Herr Scheffler stand wieder so kurz vor seinem zweiten Herzanfall und handhabte die Eisenstangen inzwischen so sicher, daß ich nun die Polizei verständigte. Kurz nach der Polizei erschien der Krankenwagen; rechtzeitig genug, um Kollegen Zieris vom Baum fallen zu sehen.
Kollege Scheffler war nach dem Gespräch mit den Polizisten stark ernüchtert und konnte seinen Heimweg allein antreten. Er weinte und sein Hund folgte ihm. - Kollege Zieris wurde gefahren. Ihm fehlte ein Zahn. Er war stark zerschunden; die Vermutung einer Rippenprellung lag nahe.
Kollege Zieris ist inzwischen arbeitsunfähig geschrieben. Sollte er nach seiner Gesundschreibung von seinem Vorhaben, einen Aufhebungsvertrag machen zu wollen, Abstand nehmen, bitten wir ihn zu versetzen bzw. entsprechende disziplinarische Maßnahmen zu treffen. Aus der gemeinsamen Arbeit der beiden Kollegen entsteht ernsthafte Gefahr.

Mit sozialistischem Gruß,
Helga Höhne

 

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floppy myriapoda
Subkommando für die freie Assoziation
Heft 10, Berlin, Januar 2009
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